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Vorgefertigt / Ausstellungen

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Max Grüter:
Vorgefertigt

«Bauset Erde» – Max Grüter's Welt im Kasten

Max Grüter hat sich offensichtlich vorgenommen, den aktuellen Kunsttrends entgegenzulaufen. Dem zumeist relativen, offenen Charakter regulärer Gegenwartskunst setzt er sein normatives (Kunst-)Baukasten-System entgegen – ein logisches Prinzip, dass er zu bizarren Skulpturen heranwachsen liess. Geradezu symbolisch ordnet Max Grüter sein kreatives Schaffen diesem selbstgewählten, rigiden System unter. Es geht ihm dabei weitestgehend um Absurditäten und Paradoxen der industriellen Massenproduktion. Deren Möglichkeiten wurden ja geschaffen um vielerlei Nützliches und Wünschenswertes breiten Konsumentenschichten zugänglich zu machen. Es zeigte sich dabei aber schnell einmal, dass die Fliessbandproduktion fast alles Existentielle vereinnahmte. Letztlich wurden daraus auch noch Kunstoff-Baukästen in verschiedenen Masstäben, mittels denen kleine und grosse Kinder die Industrieproduktion als Bastelwerk nachbauen können.
Es ist ja noch nachvollziehbar, dass Güter wie Schiffe, Flug- und Fahrzeug oder gar Häuser als Miniaturen im Selbstbauset angeboten werden. Diese stellen so quasi die attrappenhaften Symbole der Ursprungsprodukte dar. Absurd muten hingegen die Baumodelle von Menschen, Tieren, Bäumen, Pflanzen usw. an. Japanische Hersteller bieten sogar Pin up's im Stil von Petty Page als Baukasten an. «Mann» setzt sich so seine eigene erotische Phantasie für's Bücherregal zusammen. Die Grenze zwischen möglichst naturgetreuer und kreativer Interpretation wird dabei wohl zwangsläufig überschritten.
Kunstinteressierte bewerten Max Grüter's Umgang mit Selbstbauelementen vor dem Hintergrund der abendländischen Skulpturentradition. Erstens, weil Max Grüter damit natürlich Kunst schafft, zweitens aber auch, weil bemalte Selbstbaumodelle aus Kunststoff mitunter den Charakter von «Kunstwerken des kleinen Mannes» haben. Man hat sie sich ja selber erschaffen, respektiv zusammengesetzt. Max Grüter hat Elemente solcher Bausets im noch zerlegten Zustand vergrössert, sozusagen wieder ihren ursprünglichen Dimensionen angeglichen. Er schuf dadurch eine unerwartete neue Realität, die betroffen macht. Modelle von menschlichen Armen, Beinen, Köpfen oder Innereien wie auch von Astwerk oder Broten, zerlegt und aus Kunststoff in Rahmen gegossen, möglichst im Masstab 1:1, können eben schon nahegehen.
Solchartiges, aus durchgefärbtem Kunststoff geschaffen, sind typische Bestandteile Max Grüter's genauso witzig wie brutal anmutenden Werken. Die Brutalität in seinen Arbeiten resultiert aber nicht aus einer sarkastischen Haltung sondern aus der Sache selbst. Sein Baukastenprinzip stellt eine präzise Widerspiegelung eines Aspekts heutiger gesellschaftlicher Verhältnisse dar: die Verfügbarkeit natürlicher Resourcen. Ob die Natur-Elemente, die verborgenen Bodenschätze oder gentechnisch verwertbares Erbgut des Lebendigen, alles wird benutzt, verändert und neu zusammengesetzt. Der «Baukasten Erde» ist letztlich der Ultimative, ob im Dienste von Alchemie, Frankenstein oder moderner Physik ist dabei eine sekundäre Frage.
Max Grüter's überaus moderene Skulpturen stellen vor diesem Hintergrund Modelle des Modellbaukastens «Erde» dar. Wie die Konsumation von TV-Information ein Bild eines Bildes von Wirklichkeit aufzeigt – die derzeit höchste Stufe von Abstraktion.

Sascha L. Serfözö, März 98

1997