kleioscope

Zeiträume - Sprachräume

Zeiträume - Sprachräume
Ein Tagebuch
2003
3-Zi-Wohnung, Acryl auf rohe Zimmerwändel

3,5-Zi-Wohnung

Zeiträume-Sprachräume

Die Arbeit "Zeiträume-Sprachräume. Ein Tagebuch" entstand im Rahmen des Vereins Pro Fuge, der sich zur Aufgabe gemacht hatte, die 267 Wohnungen einer Abbruchsiedlung der Stadt Zürich einer kulturellen und künstlerischen Zwischennutzung zuzuführen.
Für zehn Monate war mir eine 3-Zimmer-Wohnung nicht nur Arbeitsort, sondern auch Arbeitsmaterial.

Um den bevorstehenden Abbruch symbolisch vorwegzunehmen, demolierte ich als Erstes die Zimmer bis auf ihre rohen Wände und Böden. Dann begann ich mit Farbe und Pinsel auf den Mauern ein Tagebuch zu führen. Einzelnen Einträgen fügte ich eine Zeichnung hinzu. In Küche und Eingang dokumentierte ich die zehn Monate in Form von Zahlen und Wochentagen.

Allmählich verwandelte sich die 3-Zimmer-Wohnung in eine Flut von Texten, Ziffern und Zeichnungen, alles fest verankert in der Wirklichkeit des Erlebten. So wurde die Wohnung zum Ort des Erinnerns, aber auch zur alternativen Dokumentationsstelle des Projekts Pro Fuge.

Mit dieser Arbeit habe ich eine uralte Tradition fortgeschrieben. Ich denke dabei an den Edfu-Tempel nördlich von Luxor. Dieser ganz mit Hieroglyphen bedeckte Tempel aus vorchristlicher Zeit gehört zu den ersten noch erhaltenen Text-Räumen von grandiosem Ausmass.

Dass Mauern bis heute ein beliebeter energiegeladener Schrifttäger geblieben ist, beweisen die gesprayten Botschaften auf Hausfronten, Brückenpfeilern, Mauern aller Art. Auf ihnen können alle lesen, was "Niemand" geschrieben hat.
Das für mich Faszinierende an diesem Schrifttäger ist die Tatsache, dass er als Original an einen festen Ort gebunden ist. Nicht nur Text und BIld prägen die Botschaft, sondern auch der Standort. Im Text schwingt also eine ortsspezifische Bedeutung mit.

All diese Aspekte prägten meine Arbeit und dies um so mehr, als dass von allem Anfang an klar war, dass nach zehnmonatiger Arbeit die Räume von auffahrenden Baggern in in Schutt und Asche gelegt werden.
Der Zufall wollte es, dass ich zu genau diesem Zeitpunkt flanierend durchs Quartier streifte und zusehen konnte, wie "meine" Wände in staubige Steinbrocken zerfielen.